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Eisbohrkerne und der Wandel des Klimas

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Einführung

Eisbohrkerne sind Eiszylinder, die aus einem Eisschild oder Gletscher gebohrt wurden. Der überwiegende Teil der Eisbohrkernaufzeichnungen stammt aus der Antarktis und Grönland, und die größten Eisbohrkerne reichen bis zu 3 km in die Tiefe. Die bis dato weitreichendsten kontinuierlichen Eisbohrkernaufzeichnungen umfassen eine Zeitspanne von 123.000 Jahren in Grönland und 800.000 Jahren in der Antarktis. Eisbohrkerne liefern Aufzeichnungen über die vergangene Temperaturentwicklung und vermitteln viele andere umweltrelevante Aspekte. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass das Eis kleine Luftblasen mit Inhalten der Atmosphäre einschließt. Diese Luftblasen ermöglichen es, die Konzentration vergangener atmosphärischen Gase, unter anderem der wichtigsten Treibhausgase wie Kohlendioxid, Methan und Distickstoffoxid, direkt zu messen.

Treibhausgase und die jüngere Vergangenheit

Direkte und kontinuierliche Messungen von Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre sind erst ab den 1950er Jahre möglich. Mittels Eisbohrkernmessungen ist es uns möglich, diesen Messzeitraum sehr viel weiter in die Vergangenheit zurück zu datieren. Antarktischen Bohrkernen mit einer sehr hohen Schneefallrate haben es uns ermöglicht, die Konzentrationen in der Luft, die bereits in Blasen im Eis eingeschlossen ist, bis in die 1980er Jahren aufzuzeichnen. Verglichen mit direkten Messungen aus der Atmosphäre an antarktischen Forschungsstationen zeigt sich, dass der Eisbohrkern als zuverlässige Aufzeichnungsquelle der atmosphärischen Treibhausgaszusammensetzung fungiert (siehe Abb. 1), obwohl wir Vorsicht walten lassen müssen, da an Standorten mit hohen Konzentrationen anderer Störstoffe kleine Artefakte auftreten können.

Überlappung zwischen Eisbohrkerndaten und instrumenteller Aufzeichnungen von Kohlendioxid- und Methanwerten (c) Thomas Bauska

Antarktische Eisbohrkerne belegen uns, dass die Konzentration des Kohlendioxids im vergangenen Jahrtausend bis zum frühen 19. Jahrhundert beständig war. Danach begann diese zu steigen, und die Konzentration ist heute fast 50 % höher als vor der industriellen Revolution (Abb. 2). Weitere Messungen, die Rückschlüsse über die Quelle dieses CO2 ermöglichen (z. B. Isotopendaten), legen nahe, dass der Anstieg auf Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe und vom Menschen verursachte Veränderungen der Vegetation und der Böden zurückzuführen sein muss. Messungen aus älteren Eisbohrkernen (siehe unten) zeigen, dass sowohl das Ausmaß als auch die Geschwindigkeit des jüngsten Anstiegs mit ziemlicher Sicherheit einmalig für die letzten 800 000 Jahre sind (Abb. 2). Der schnellste natürliche Anstieg, der in älteren Eisbohrkernen gemessen wurde, beträgt etwa 15 ppm (Teile pro Million) über einen Zeitraum von etwa 200 Jahren. Zum Vergleich: Das atmosphärische CO2 steigt derzeit alle 6 Jahre um 15 ppm an. Auch bei Methan (CH4), einem weiteren wichtigen Treibhausgas, ist in den letzten zwei Jahrhunderten ein beispielloser Anstieg der Konzentration zu verzeichnen. Seine Konzentration hat sich gegenüber dem vorindustriellen Niveau mehr als verdoppelt. Dies ist hauptsächlich auf Emissionen aus der Landwirtschaft und der Produktion fossiler Brennstoffe zurückzuführen, die zu den natürlichen Emissionen aus Feuchtgebieten und anderen Quellen hinzukommen.

Datenauswertung der letzten 800.000 Jahre in Bezug auf atmosphärischen Kohlendioxid und Methan anhand von Eisbohrkernproben und atmosphärischen Samples (c) Thomas Bauska
Datenauswertung der letzten 800.000 Jahre in Bezug auf atmosphärischen Kohlendioxid und Methan anhand von Eisbohrkernproben und atmosphärischen Samples (c) Thomas Bauska

Natürlicher Klimawandel: Glazial-Interglaziale Klimaphasen

Durch die Messung des Anteilsverschiedener Wasserisotope in polaren Eisbohrkernen können wir herausfinden, wie sich die Temperatur in der Antarktis und Grönland in der Vergangenheit entwickelt hat. Der älteste kontinuierliche Eisbohrkern, den wir zur Verfügung haben, wurde vom Europäischen Projekt für Eiskernbohrungen in der Antarktis (EPICA) aus Dome C auf dem antarktischen Plateau gebohrt (Abb. 3). Er reicht 800.000 Jahre zurück und zeigt eine Abfolge von langen, kalten “Eiszeiten”, die etwa alle 100.000 Jahre von warmen “Zwischeneiszeiten” unterbrochen werden (die jüngste ereignete sich vor 11.000 Jahren). Diese Abfolge von Ereignissen kenn wir aus anderen Aufzeichnungen, und die kältesten Perioden in der Antarktis sind die Zeiten, in denen auch wir Eiszeiten hatten. Die Eisschilde erstreckten sich über Nordamerika bis in den Süden von Chicago und New York und über Großbritannien bis südlich von The Wash. [Anmerkung: Einbuchtung in der Ostküste Englands]

Die frühesten Eisbohrkernaufzeichnungen von atmosphärischem Kohlendixodid und Temperaturanstieg in der Antarktis (c) Thomas Bauska
Die frühesten Eisbohrkernaufzeichnungen von atmosphärischem Kohlendioxid und vom Temperaturanstieg in der Antarktis (c) Thomas Bauska

Die Rolle der Treibhausgase in glazial-interglazialen Zyklen

Anhand der Luftprobe in unserem ältesten antarktischen Eisbohrkern zeigt sich, dass sich das Kohlendioxid in auffälliger Weise im Einklang mit dem antarktischen Klima verändert hat, mit niedrigen Konzentrationen in Kaltzeiten und hohen Konzentrationen in Warmzeiten (siehe Abb. 3). Dies unterstreicht die Vorstellung, dass Temperatur und CO2 eng miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig verstärken (auch als positive Rückkopplung bekannt). Es wird angenommen, dass die Erwärmung nach den Eiszeiten durch Veränderungen in der Erdumlaufbahn um die Sonne beschleunigt wird, aber diese kleinen Klimaveränderungen werden insbesondere durch den daraus folgenden CO2-Anstieg und durch die Zurückdrängung des Meereises und der Eisschilde (daraus resultiert geringere Abstrahlung des Sonnenlichtes) verstärkt.

Wir sehen den bemerkenswert engen Zusammenhang zwischen der Temperatur in der Antarktis und den CO2-Anstieg, aber was hat das mit der globalen Temperatur auf sich? Hier können wir feststellen, wann die Erde das letzte Mal eine Eiszeit durchgemacht hat. Wissenschaftler haben andere geologische Temperaturaufzeichnungen aus der ganzen Welt zusammengestellt, um die globale Durchschnittstemperatur zu berechnen. Auf dieser globalen Skala beginnt der CO2-Anstieg vor der Temperatur (siehe Abb. 4) (Shakun/Osman), so dass man davon spricht, dass die Temperaturen dem Kohlendioxid “hinterherhinken”. Dies belegt, dass CO2 nicht nur eine Rückkopplung auf den natürlichen Klimawandel war, sondern in der Tat der Hauptfaktor, der die letzte Eiszeit auf der Erde ausgelöst hat.

In unserer modernen Zeit sind es natürlich die menschlichen CO2-Emissionen, die die Abfolge der Ereignisse in Gang setzen. In den Eisbohrkernaufzeichnungen gibt es keine Beispiele für einen größeren CO2-Anstieg, der nicht mit einem Temperaturanstieg einherging. Die Methankonzentration folgt ebenfalls den Veränderungen zwischen den Glazialen und Interglazialen, wahrscheinlich weil es in den kälteren, trockeneren Glazialperioden weniger Feuchtgebiete gab.

Atmosphärisches Kohlendioxid und globale Temperaturen von der letzten Eiszeit bis kurz vor der industriellen Revolution (c) Thomas Bauska
Atmosphärisches Kohlendioxid und globale Temperaturen von der letzten Eiszeit bis kurz vor der industriellen Revolution (c) Thomas Bauska

Abrupter Klimawandel

Die oben beschriebenen Klimaveränderungen waren gewaltig, aber verhältnismäßig allmählich. Eisbohrkerne haben uns jedoch den Beweis geliefert, dass auch abrupte Veränderungen möglich sind. Während der letzten Eiszeit erlebte Grönland eine Abfolge von sehr schnellen Erwärmungen (siehe Abb. 5). Die Temperatur stieg innerhalb weniger Jahrzehnte um mehr als 10 °C an. Andere Aufzeichnungen zeigen uns, dass es auf der gesamten Nordhalbkugel zu großen Veränderungen der atmosphärischen Zirkulation und des Klimas kam. In der Antarktis und im Südlichen Ozean gab es ein anderes Muster, das mit der Vorstellung übereinstimmt, dass diese schnellen Sprünge durch plötzliche Veränderungen im Wärmetransport im Ozean verursacht wurden. Zu dieser Zeit befand sich ein riesiger Eisschild (die Laurentide) über dem nördlichen Teil Nordamerikas. Höchstwahrscheinlich wurde die Umwälzung des Ozeans durch Süßwasser, das vom Eisschild in den Nordatlantik geleitet wurde, periodisch unterbrochen, so dass der Transport tropischer Wärme nach Norden abnahm und dann plötzlich wieder zunahm. Auch wenn dieser Mechanismus in der heutigen Welt unwahrscheinlich ist, zeigt er uns doch, dass das Klima zumindest regional zu außergewöhnlichen Veränderungen innerhalb eines Menschenlebens fähig ist – schnelle Wechsel, die wir auf jeden Fall vermeiden wollen.

Beispiele abrupten Klimawandels in Grönland und die immer spürbareren allmählichen Effekte in der Antarktis während der letzten Eiszeit (c) Thomas Bauska
Beispiele abrupten Klimawandels in Grönland und die immer spürbareren allmählichen Effekte in der Antarktis während der letzten Eiszeit (c) Thomas Bauska

Zusammenfassung

Eisbohrkerne liefern direkte Informationen darüber, wie sich die Treibhausgaskonzentrationen in der Vergangenheit verändert haben, und sie bringen auch den direkten Beweis dafür, dass sich das Klima unter bestimmten Umständen abrupt verändern kann. Sie bieten jedoch keine direkten Anhaltspunkte für die Zukunft, da die Eisbohrkernzeit keine Phasen mit CO2-Konzentrationen enthält, die mit denen des 21. Jahrhunderts vergleichbar sind.

Datenblatt

Eisbohrkern. Zylinder aus Eis, der aus einem Eisschild oder Gletscher gebohrt wurde. Die meisten Eisbohrkernaufzeichnungen stammen aus der Antarktis und Grönland.

Eisbohrkerne enthalten Informationen über die Temperatur in der Vergangenheit und über viele andere Aspekte der Umwelt.

Der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre ist heute 50 % höher als vor der industriellen Revolution. Dieser Anstieg ist auf die Nutzung fossiler Brennstoffe und Veränderungen in der Landnutzung zurückzuführen.

Das Ausmaß und die Geschwindigkeit des jüngsten Anstiegs sind mit ziemlicher Sicherheit beispiellos in den letzten 800.000 Jahren.

Auch bei Methan ist in den letzten zwei Jahrhunderten ein enormer und noch nie dagewesener Anstieg der Konzentration zu verzeichnen.

Referenzen

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Anmerkung: Dieser Beitrag wurde leicht editiert und aus dem Englischen übersetzt. Das Original könnt ihr hier nachlesen!

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