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Als die globale Erwärmung durch eine Zick-Zack-Kurve deutlich gemacht wurde

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Die Keeling-Kurve gehörte zu den ersten Diagrammen, die den stetigen Anstieg des Kohlendioxidgehaltes in der Erdatmosphäre anzeigten.

Einleitung

Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine Kritzelei, ein Zickzack-Muster, welches während eines langwierigen Meetings gedankenverloren auf einen Merkzettel gekritzelt wurde. Tatsächlich wird es als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten des 20. Jahrhunderts angesehen, und seine Entstehung in den 1950er Jahren lieferte eine der ersten zentralen Erkenntnisse über den Gesundheitszustand des Planeten Erde.

Das scheinbar harmlose Kringelmuster der Keeling-Kurve ist in der Tat eine akribische Aufzeichnung der Kohlendioxidmenge unserer Atmosphäre, das Resultat täglicher Messungen, die seit mehr als 60 Jahren beinahe durchgehend durchgeführt werden. Ihre Bedeutung liegt in der Tatsache begründet, dass die Zick-Zack-Kurve in diesen sechs Jahrzehnten kontinuierlich nach oben gestiegen ist.

Der Wissenschaftshistoriker Spencer Weart bezeichnet die Keeling-Kurve als “das zentrale Symbol des Treibhauseffekts”. In seinem Buch The Discovery of Global Warming schreibt er: “Es war nicht bloss die Entdeckung der globalen Erwärmung. Es war die Entdeckung der Möglichkeit einer globalen Erwärmung”.

Keeling Kurve
Dieses Diagramm zeigt die vollständige Aufzeichnung der monatlichen Durchschnittswerte des Kohlendioxids, die am Mauna Loa Observatorium auf Hawaii gemessen wurden. Die Kohlendioxiddaten auf dem Mauna Loa stellen die längste Aufzeichnung direkter Messungen von CO2 in der Atmosphäre dar. Sie wurden von C. David Keeling von der Scripps Institution of Oceanography im März 1958 an der NOAA-Wetterstation auf dem Vulkan Mauna Loa begonnen. Die NOAA begann im Mai 1974 mit ihren eigenen CO2-Messungen, die seither parallel zu den Scripps-Messungen durchgeführt werden. (Bildnachweis: NOAA Global Monitoring Laboratory)

Die Entstehung der Studie lässt sich bis zu einem Campingplatz in Big Sur, Kalifornien, zurückverfolgen. Charles David Keeling war 1953 ein junger promovierter Geochemiker, der eine Studie durchführen wollte, welche die relative Häufigkeit von Kohlendioxid in Wasser und Luft vergleichsweise messen sollte. Dazu musste er zunächst den CO2-Gehalt in der Atmosphäre messen, was bis zu diesem Zeitpunkt noch niemandem mit großer Präzision gelungen ist. Aus diesem Grund gab es auch keine geeigneten, handelsüblichen Geräte für das Vorhaben. Und so konstruierte Keeling sein eigenes Instrument nach der Anleitung eines Prototyps, den er in einer Zeitschrift von 1916 gefunden hatte, und fuhr einen Tag lang nach Big Sur. Da er noch nicht sicher wusste, ob der CO2-Gehalt selbst in der unberührten Luft am Pazifik konstant sein würde, beschloss er, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang alle paar Stunden Luftproben zu nehmen – eine Akribie, die seine Karriere entscheidend mitgestalten sollte.

“Er lebte nach einer Art Moralkodex, der davon ausging, dass es einen richtigen und einen falschen Weg gibt, Dinge zu tun, und der richtige Weg war immer der gründliche Weg”, erklärt Ralph Keeling, sein Sohn und Direktor des Scripps CO2-Programms an der Scripps Institution of Oceanography.

Steigende CO2-Werte deuten auf globale Erwärmung hin

Keeling registrierte bald, dass der CO2-Gehalt in der Atmosphäre etwa 310 Teile pro Million (parts per million) beträgt, d. h. eine Million Gasmoleküle in der Atmosphäre enthalten 310 Teile Kohlendioxid. Diese Zahl blieb konstant, unabhängig davon ob er sich auf seinem Campingplatz in Big Sur, in den Regenwäldern des pazifischen Nordwestens oder in den Gebirgswüsten von Arizona befand. Zu diesem Zeitpunkt galt dies in erster Linie als Antwort auf eine Frage, die sich nur wenige stellten, aber seine Bestrebungen sollten bald größere Bedeutung erlangen.

Die Arbeit des jungen Geochemikers weckte das Interesse anderer Wissenschaftler, und 1957 trat Roger Revelle, der Leiter der Scripps Institution of Oceanography, mit dem Vorhaben an Keeling heran, die CO2-Konzentration gleichzeitig an mehreren Orten weltweit zu messen. Revelles eigentliche Idee war es, eine “Momentaufnahme” der CO2-Konzentrationen abzubilden und diese dann ein Jahrzehnt später erneut aufzuzeichnen. Keeling beharrte jedoch auf einem gründlicheren Ansatz: Er wollte die Messungen nicht nur einmal im Jahrzehnt, sondern täglich durchführen.

“Keeling ist ein sonderbarer Kerl”, sagte Revelle später. “Er will das CO2 in seinem Bauch messen. Und er will das mit der größten Präzision und der größten Genauigkeit tun, die er erreichen kann.”

Das U.S. Weather Bureau hatte unlängst eine Beobachtungsstation in der klaren Luft auf dem Vulkan Mauna Loa auf Hawaii errichtet, und der Direktor für meteorologische Forschung, Henry Wexler, schlug diese als perfekten Ort für tägliche Messungen vor. Letztendlich arbeitete Keeling an zwei Projekte gleichzeitig: Er arbeitete von Scripps aus und leitete Revelles globales Projekt, während er ebenso unter der Leitung von Wexler die täglichen Messungen am Mauna Loa durchführte.

Mauna Loa Observatorium
Blick auf das Mauna Loa Observatorium. Bildrechte: Jonathan Kingston/National Geographic/Getty Images

Daten zeigen, wie die Erde “atmet”

Die erste Messung auf dem Mauna Loa, im März 1958, ergab einen Wert von 313 ppm. Doch zu Keelings Erstaunen stieg der Wert im Folgemonat um 1 ppm und im Mai erneut an, bevor er bis Oktober stetig sank und dann wieder anstieg. Dasselbe wiederholte sich im ersten vollen Jahr der Messung 1959. Was war der Grund dafür? Auf der Nordhalbkugel gibt es eine viel größere Landmasse und damit auch viel mehr Vegetation als auf der Südhalbkugel. Wenn die Blätter der Bäume oberhalb des Äquators im Frühjahr und Sommer austrieben, entzogen sie der Atmosphäre Kohlendioxid, und der Wert stieg mit der Rückkehr des nördlichen Herbstes und Winters erneut an. Die Keeling-Kurve hatte tatsächlich das “Atmen” der Erde erfasst.

Jahreszeitliche Schwankungen des CO2-Gehaltes der Atmosphäre
Jahreszeitliche Schwankungen des CO2-Gehaltes der Atmosphäre. (c) Physicsforums

Aber das war noch nicht alles. Obwohl die jahreszeitlichen Schwankungen einen Zickzack-Kurs angezeigt hatten, wurde bald klar, dass der Zickzack-Kurs einen Aufwärtstrend aufwies. Die Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre nahm jährlich zu.

Im 19. Jahrhundert hatten mehrere Wissenschaftler herausgefunden, dass Kohlendioxid in der Atmosphäre den Planeten erwärmt – es entsteht ein sogenannter “Treibhauseffekt”. Der Treibhauseffekt ist Voraussetzung für das Leben auf der Erde; ohne ihn wäre die Erde ein kalter, karger Ort. Dieselben Wissenschaftler nahmen jedoch an, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle (die Kohlenstoff aus alten Pflanzen enthalten) den CO2-Gehalt erhöhen und zu einem Anstieg der globalen Temperaturen führen könnte. Diese Befürchtungen waren jedoch weitgehend hypothetisch geblieben. Nun aber zeigte Keelings Arbeit, dass der erste Teil dieser theoretischen Gleichung – ein Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre – real ist.

Die klare und anschauliche Veranschaulichung durch die Keeling-Kurve regte weitere Forscher an, sich mit den möglichen Konsequenzen zu befassen. Bis 1967 hatte ein Team unter der Leitung von Syukuro Manabe vom Geophysical Fluid Dynamics Laboratory der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) das erste umfassende Modell der Reaktion des Klimas auf einen Anstieg des atmosphärischen CO2 entwickelt, das aus Daten der Keeling-Kurve extrapoliert wurde. Es prognostizierte bei einer Verdoppelung des Kohlendioxids in der Atmosphäre einen Anstieg der globalen Temperatur um etwa 3 bis 4 Grad Celsius.

“Ich habe den Eindruck, dass Manabe durch die Beweise meines Vaters, dass sich die CO2-Werte tatsächlich ändern, motiviert wurde, sich in dieser Sache einzubringen”, sagt Ralph Keeling. “Mein Vater hat die Agenda in einer Weise geprägt, die die Menschen beeinflusst hat. Ich weiß, dass es Forscher gab, die vielleicht eine halbe Generation älter waren als ich, die sich für das Thema interessierten, einfach weil sie diese Kurve sahen.”

Weitere Studien und Modellierungen verbesserten im Laufe der Jahre die Vorhersagen und bestätigten die zugrunde liegenden Thesen. Durch tiefe Bohrungen in die polaren Eisschilde und die Untersuchung winziger Lufteinschlüsse, die vor Hunderten und sogar Tausenden von Jahren eingeschlossen worden waren, konnten die Wissenschaftler sogar CO2-Werte messen, die weit vor Keelings Zeit lagen. Als die Messungen auf dem Mauna Loa begannen, waren diese Werte seit der vorindustriellen Zeit bereits um fast 12 Prozent gestiegen, und sie sind weiter angestiegen. Im Jahr 2016 lag der jährliche Tiefstwert zum ersten Mal seit mehreren Millionen Jahren über 400 ppm.

Auf die Keeling-Kurve folgt der “Hockeystick”

Die Keeling-Kurve wurde inzwischen von einem anderen ikonischen Klimadiagramm abgelöst: dem so genannten “Hockeystick”, der erstmals 1998 von Michael Mann von der Penn State University und Kollegen veröffentlicht wurde, und der relativ stabile globale Temperaturen ab 1000 n. Chr. und einen steilen Anstieg während des 20. Jahrhunderts zeigt, der sich eng an die Mauna-Loa-Messungen anlehnt.

“Wie die “Hockeystick”-Kurve, die meine Mitautoren und ich vor zwei Jahrzehnten veröffentlicht haben, ist die Keeling-Kurve ein echtes Symbol, weil sie eine einfache Geschichte erzählt”, sagt Mann. “Man muss die Komplexität der Klimawissenschaft nicht verstehen, um zu begreifen, was diese beiden Kurven uns sagen: dass menschliche Aktivitäten einen tiefgreifenden Einfluss auf die Umwelt der Erde haben.”

Während sich die Menschheit mit der Frage auseinandersetzt, wie sie auf die Veränderungen der Umwelt reagieren soll, steigt die Kurve weiter nach oben.

“Er war sich bewusst, dass die Kurve in der Zukunft betrachtet und untersucht werden würde”, sagt Ralph Keeling über seinen Vater, der 2005 starb. “Und die Kurve ist fast wie ein Orakel, das spricht. Sie ist das Orakel auf dem Berg.”

Anmerkung: Dieser Beitrag wurde leicht editiert und aus dem Englischen übersetzt. Das Original findet ihr hier.

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